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Neue Rechtsprechung des BAG: Zuschläge für Teilzeitkräfte ab der ersten Überstunde

  • Anja Kömpf
  • 17. Feb.
  • 3 Min. Lesezeit

Das Bundesarbeitsgericht hat in einer neuen Entscheidung (BAG, Urteil vom 05.12.2024 – 8 AZR 370/20) einen Richtungswechsel in seiner Rechtsprechung zu Teilzeitbeschäftigten vollzogen, der sehr praxisbedeutsam ist und von Arbeitgebern zukünftig rechtzeitig beachtet werden sollte.

Das BAG hat eine tarifvertragliche Regelung wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitkräften für rechtsunwirksam erachtet, weil die Regelung vorsah, Überstundenzuschläge erst ab Erreichen der Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten zu gewähren. Da ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung nicht erkennbar sei, verstoße die Regelung gegen § 4 I TzBfG. Daneben bejahte das BAG einen Anspruch der Klägerin auf eine Entschädigung nach § 15 II AGG.

Im Entscheidungsfall hatte eine teilzeitbeschäftigte Pflegekraft geklagt und eine Lohndifferenz sowie einen Entschädigungsanspruch geltend gemacht.

Auf das Arbeitsverhältnis waren aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Vorschriften des zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft ver.di geschlossenen Manteltarifvertrags (MTV) anwendbar. Nach dessen § 10 Ziff. 7 S. 2 sind alle Überstunden, die über die monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden, und nicht im jeweiligen Kalendermonat durch Freizeit ausgeglichen werden, mit einem Zuschlag von 30 % zuschlagspflichtig. Anstelle der Auszahlung ist eine entsprechende Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto möglich. Das Arbeitszeitkonto der klagenden Teilzeitkraft wies Ende 2018 ein Arbeitszeitguthaben von knapp 130 Stunden aus.  

Nachdem das BAG das Revisionsverfahren zunächst mit Beschluss vom 28.10.2021 ausgesetzt und den EuGH zur Beantwortung zweier Rechtsfragen angerufen hat,[1] entschied es am 05.12.2024, dass die Regelung des § 10 Ziff. 7 S. 2 MTV gegen das Benachteiligungsverbot des § 4 I TzBfG verstößt, da die Regelung keine anteilige Absenkung der Grenze, oberhalb derer Überstundenzuschläge bezahlt werden, für Teilzeitbeschäftigte vorsieht. Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung sei nicht erkennbar.

Darüber sprach das BAG der Klägerin eine Entschädigung nach § 15 II AGG zu. Mit (nur) 250 EUR wurde die teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerin für die mittelbare Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts abgefunden. Im Betrieb des beklagten Arbeitgebers stellten Frauen einen signifikanten Anteil  (90 %) der Teilzeitkräfte.

Damit rückt das BAG von seiner Entscheidung aus dem Jahr 2021 (6 AZR 253/19) ab. In der Vergangenheit wurde für die Gewährung von Überstundenzuschlägen allein darauf abgestellt, ob die regelmäßige Arbeitszeit eines im Betrieb beschäftigten Vollzeitarbeitnehmers überschritten wird. Die Frage nach einer Ungleichbehandlung wurde „im Keim erstickt“, weil man keine Vergleichbarkeit von Voll- und Teilzeitkräften bei der Zuschlagsgewährung (an)erkannte.

Die Kehrtwende in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bezieht sich expressis verbis auf eine tarifvertragliche Regelung. Es ist aber kaum anzunehmen, dass für Regelungen in Arbeitsverträgen etwas anderes entwickelt werden wird. Um der Norm des § 4 TzBfG gänzlich gerecht zu werden, muss im Rahmen der Prüfung einer Benachteiligung stets ergänzend gefragt werden, ob die festgestellte Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt ist. Damit ist man bei der ausfüllungsbedürftigen Feststellung angelangt, dass eine Gleichbehandlung vergleichbare Arbeitnehmer verlangt.  Das Gegenteil überzeugend darzulegen – die Unvergleichbarkeit teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer - dürfte in der Praxis schwierig werden. Freilich ist überzeugend, dass eine Vergleichbarkeit keine Identität der gesamten Arbeitsbedingungen erfordert (Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 4 TzBfG, Rn 26, 25. Auflage 2025). Die Bildung von Arbeitnehmergruppen etwa hinsichtlich einer gleichen oder gleichwertigen Arbeitsleistung oder einer ähnlich langen Betriebstreue (Erfurter Kommentar, a. a.O.), mag ebenfalls auch hier sinnvoll sein. Ganz klar ist aber nicht, weswegen einzelne Teilzeitkräfte in den Genuss von Zuschlägen ab der ersten Überstunde kommen sollten und andere nicht.

Arbeitgeber sollten Klauseln in den Arbeitsverträgen anpassen, die eine nunmehr rechtsunwirksame Regelung aufstellen. Das Augenmerk wird sich sicherlich auch dahin ändern, wie der betrieblich veranlasste Bedarf an Zusatzstunden innerhalb der Belegschaft verteilt wird.


[1] Die Fragen betreffen Art. 157 AEUV sowie Art. 2 I lit. b) und Art. 4 S. 1 RL 2006/54/EG Gleichbehandlungsrichtlinie. Falls der EuGH im vorgelegten Fall eine Ungleichbehandlung annähme, solle beantwortet werden, ob dabei nur auf die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten abzustellen sei oder ob auch berücksichtigt werden müsse, wie die Geschlechter zwischen Voll- und Teilzeitkräften vertreten sind. Der EuGH bejahte beide Fragen (EuGH, Urteil vom 29.07.2024 -C-185/22).

 
 

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